Geschichten und Skizzen aus Bergen, Dörfern und Tälern

Fabio Andina und Lorenzo Custer Tessiner Horizonte – Momenti Ticinesi

22 Kurzgeschichten versammeln sich in den Momenti Ticinesi, wie der italienische Titel treffend lautet. Tessiner Horizonte, der deutsche Titel des zweisprachigen Buches passt gut zu den Skizzen von Lorenzo Custer.

Einprägsam schon die erste Zeichnung von Custer, die Horizontale für den Lago Maggiore, die wellenförmigen ineinandergreifenden Linien für Hügel und Berge über dem See und die Silouette des grossen Brockens mit mehreren Spitzen: Monte Rosa, sichtbar am westlichen Horizont des südlichen Tessins, sofern die Sicht nicht gerade mit Steilwänden oder durch Nebel verstellt ist. Dazu passend der erste, fast lapidar scheinende Dreizeilen-Text von Andina: «Wasser und Schnee» steht für die im Buch immer wieder aufscheinenden Gegensätze des Südkantons.

Dann einprägsam das Höhenangst-Erlebnis am Gipfel des abschüssigen Sosto über Olivone im Bleniotal: «Auf allen vieren bin ich umgekehrt … heute morgen hat mich der Sosto abgewiesen».

Ein weiteres Erlebnis: Die Biwaknacht – das Gewitter ist kurz, Zelt und Schlafsack trocknen rasch in der Morgensonne. Hübsch auch viele der übrigen Erlebnisse. Manche der Geschichten, z.B. die mit der Figur des Celeste oder die stimmungsvollen Naturerfahrungen des Frühaufstehers hoch oben auf den Bergen, erinnern an Andinas Tage mit Felice – Miniaturvarianten des erfolgreichen Erstlings. Alles in allem widerspiegeln Andinas Tessiner Momente den intakten Teil, die steilen Welten im Süden der Schweiz. Das zielt auf Akzeptanz in von Corona geplagten Zeiten. Andina reiht sich so auch in die lange Tradition des Schönschreibens der Alpenwelt ein, auch wenn er schnörkelloser textet als viele seiner Vorgänger.

Lorenzo Custers ansprechende, auf das Wesentliche beschränkte Strichzeichnungen der Natur- und Siedlungslandschaften erweitern und verstärken das Geschriebene. Die kurzen dazu gehörenden am Schluss des Buches eingefügten Legenden unterstreichen Andinas Beschreibungen intakter Landschaften: «Mittelalterliches Dorf, historischer Ortskern, Ponte Romano» usw.

Ich habe die meist kurzen und eingängigen Texte mit Erlebnissen aus den Tessiner Bergen, Tälern und Ortschaften gerne gelesen und die Skizzen des Architekten und Restaurators traditioneller Bauten gefallen mir. Die Gedanken auf der zweieinhalb Seiten umfassenden Nachbemerkung des Landschaftsschützers und Landschaftsphilosophen Hans Weiss ordnen die Momenti Ticinesi ein, runden sie ab und lassen einen über Kultur und Natur sinnieren. Wer den Tessin, besonders seine abgelegenen Gebiete selber erkundet hat, wird von Andina und Custer an vieles erinnert und kann den Nachtrag von Weiss leicht nachvollziehen. Andere vermag das Büchlein auf angenehme Weise überraschen und in eine ursprünglich scheinende Welt zu versetzen.

Fabio Andina/Lorenzo Custer. Tessiner Horizonte – Momenti Ticinesi, Rotpunktverlag 2021

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