Partisanen im Ossolatal. Zum Roman «Die unsichtbaren Dörfer» von Gino Vermicelli.

Eigentlich habe ich nichts am Hut mit der Lektüre von Kriegsromanen. Die teils dokumentarische, selbst erlebte, teils frei erfundene Darstellung des Autors zum Widerstand von März bis Oktober 1944 in den Bergen und Tälern um Domodossola hat mich aber von der ersten bis zur letzten Seite gepackt.

 

Für Spannung sorgt die sich stets präsente Frage, wie es den mit Empathie, aber nicht idealisiert geschilderten, bewaffneten Partisanen, die von einheimischen Meldeläuferinnen und Älplern unterstützt wurden, bei ihren Aktionen gegen die deutschen Besetzer und ihre faschistischen Helfer im Tal ergeht.

 

«Marschieren ist unser Beruf», sagt einer der Partisanen – und tatsächlich: Ein grosser Teil des Romans handelt von den stundenlangen, meist nächtlichen Fussmärschen auf Maultierpfaden, zuweilen auch auf weglosen Routen, in steilstem Gelände am Alpensüdhang. Die Beschreibungen sind genau. Die Alpsiedlungen und die Monti mit ihren Lichtungen, die Taleinschnitte, die Grate und Übergänge, aber auch die grossen und kleinen Orte in der Ebene, Strassen, Eisenbahn – alles, auch Gehdistanzen sind präzis beschrieben, die Routen sind nachvollziehbar und könnten – ein vielleicht etwas seltsamer Verweis – heute als Anleitung zum Wandern benutzt werden (vgl. dazu: www.sentieriossolani.ch).

 

In Erinnerung an Giuseppe Garibaldi, den italienischen Freiheitskämpfer, nennt sich die Partisanengruppe, die in Gino Vermicellis Roman die Hauptrolle spielt, «garibaldini». Einige von ihnen, überzeugte Kommunisten und Antifaschisten, kommen aus den norditalienischen Städten, wo sie verfolgt wurden; andere sind Bergler: sie kennen jeden Winkel in den meist schwer zugänglichen Gebieten über dem Fluss Toce. Auch wenn es manchmal Missverständnisse, ideologische Dispute und Konkurrenz zwischen Partisanen gibt, teilen sie doch die Grundhaltung: «Auch im Krieg muss es eine Moral, eine Ethik, geben», sagt der Kommandant Emilio. Simon, Protagonist und Alter Ego des Autors, der als junger Widerstandkämpfer aus Frankreich in seine Heimat zurückgekehrt ist, sorgt für Mitsprache und Gleichbehandlung seiner am Kampf beteiligten Gefährten. Und auch die überwältigten feindlichen Soldaten werden entsprechend der Genfer Konvention anständig behandelt.

 

Nebst den realistisch beschriebenen Bewegungen und Scharmützeln der Partisanen beinhaltet das Buch auch romantisierte Erzählstränge zu persönlichen Verwicklungen einzelner Beteiligter und die Schilderung von Denk- und Verhaltensweisen gegnerischer Akteure, die wohl eher imaginiert sind als von möglichen Spionageberichten abgeleitet.

 

«Die unsichtbaren Dörfer» ist der einzige Roman von Gino Vermicelli. Er ist erstmals 1984, vierzig Jahre nach den Ereignissen, mit dem Titel «Viva Babeuf» erschienen und 2022 zum hundertsten Geburtstag des Autors neu herausgegeben worden.

 

Gino Vermicelli. Die unsichtbaren Dörfer. Partisanen im Ossolatal. Roman. Aus dem italienischen von Barbara Fahrni Mascolo. Vollständig überarbeitete Übersetzung. Rotpunktverlag Zürich 2022.

 

 

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